Identification: HUN-1998-2-006

27/1998

16.06.1998

 

 

Entscheidung 27/1998. (VI. 16.) AB

 

Im Namen der Republik Ungarn!

 

Das Verfassungsgericht hat aufgrund eines Antrags auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit und Aufhebung eines sonstigen Rechtsinstruments der staatlichen Leitung die folgende Entscheidung getroffen:

1. Das Verfassungsgericht stellt fest: Solange, wie die jetzige Wahlordnung in Kraft ist, steht den Abgeordneten, die zu einer Partei gehören, deren Parteiliste mehr als 5 % der gültigen landesweit zusammengefaßten Stimmen auf den Gebietslisten  bekommen hat, auch dann das Recht auf Gründung einer Abgeordnetengruppe zu, wenn das Parlament ansonsten zur Gründung einer Abgeordnetengruppe eine höhere Kopfzahl beschließt. Zur Gründung und Tätigkeit der Abgeordnetengruppe einer solchen Partei ist die erforderliche Kopfzahl der Abgeordneten die bei der Gründungssitzung des Parlaments vorhandene Zahl.

2. Das Verfassungsgericht stellt fest: Der erste Satz des § 15 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 46/1994. (IX. 30.) OGY über die Geschäftsordnung des Parlaments der Republik Ungarn (fortan: Geschäftsordnung) ist verfassungswidrig. Deswegen hebt das Verfassungsgericht diese Bestimmung mit rückwirkender Kraft ab dem 2. Juni 1998 auf.

3. Die sich in einem Unterlassen ausdrückende Verfassungswidrigkeit besteht darin, daß die Geschäftsordnung keine Garantiebestimmung darüber enthält, daß die zu keiner Abgeordnetengruppe gehörenden Abgeordneten wirklich Mitglieder der ständigen und nicht-ständigen Ausschüsse werden können, insbesondere regelt sie nicht eine sich auf alle Abgeordneten erstreckende Teilnahmemöglichkeit und verhältnismäßige Zuteilungsweise der Sitze. Das Verfassungsgericht ruft das Parlament auf, seiner Rechtsetzungspflicht bis zum 1. September 1998 zu genügen.

4. Das Verfassungsgericht stellt fest, daß die §§ 31, 32, 33 und ferner die §§ 35 Abs. 2 und 36 Abs. 4 der Geschäftsordnung verfassungswidrig sind. Diese Bestimmungen werden an dem Tag des Inkrafttretens der Bestimmungen der Geschäftsordnung, die in Ziffer 3 bestimmt sind und die die in einem Unterlassen bestehende Verfassungsgwidrigkeit beseitigen werden, jedoch spätestens mit dem 1. September 1998, von dem Verfassungsgericht aufgehoben.

Das Verfassungsgericht veröffentlicht diese Entscheidung im Magyar Közlöny.

 

Gründe

I.

1. Der Antragsteller - eine Partei, die bei den Parlamentswahlen von 1998 über die Gebietslisten und die Landesliste zusammen 14 Mandate errungen hat - beantragt, daß das Verfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit des § 15 Abs. 1 des Parlamentsbeschlusses 46/1994. (IX. 30.) OGY über die Geschäftsordnung des Parlaments der Republik Ungarn (fortan: Geschäftsordnung) feststelle und diesen aufhebe. Im einzelnen wird beantragt: das Verfassungsgericht möge gestützt auf § 43 Abs. 4 des Gesetzes Nr. XXXII/1989 über das Verfassungsgericht (fortan: ungVerfGG) die verfassungswidrige Rechtsvorschrift hinsichtlich des Antragstellers mit rückwirkender Kraft aufheben und ferner feststellen, daß § 15 Abs. 1 Satz 1 der Geschäftsordnung auf die Gründung der Abgeordnetengruppe des Antragstellers nicht anwendbar sei.

Gemäß dem Antrag mache es die Bestimmung der Hausordnung, der gemäß "mindestens 15 Abgeordnete eine Abgeordnetengruppe bilden" (§ 15 Abs. 1), von einer neuerlichen Voraussetzung, von der Erreichung einer Kopfzahl in Höhe von fünfzehn abhängig, daß die über die Gebietsliste die fünf Prozent Schwelle erreichenden und so über die Parteiliste in das Parlament gelangten zu derselben Partei gehörenden Abgeordneten die Fülle ihrer Rechte ausüben könnten. Der Antrag bringt zahlreiche Beispiele aus der Verfassung und der Geschäftsordnung, daß bestimmte Rechte nur die Abgeordnetengruppen ausüben könnten, bzw. den Mitgliedern der Abgeordnetengruppen zuständen; so zum Beispiel könnten nur die Leiter bzw. Mitglieder einer Abgeordnetengruppe an dem Hausausschuß und den Parlamentsausschüssen teilnehmen. Dem Antragsteller gemäß stehe dem § 15 der Hausordnung der § 70/A Abs. 1 und 3 der Verfassung entgegen; der § 8 des Gesetzes XXXIV/1989 über die Wahl der Parlamentsabgeordneten (fortan: Wahlgesetz), der die Möglichkeit der Parteien, zu einer parlamentarischen Vertretung zu gelangen, regle und über die 5 % Schwelle hinaus keine weiteren Bedingungen enthalte; der § 26 Abs. 3 des Gesetzes Nr. C/1997 über das Wahlverfahren, der auch keine Bedingung zur Bildung einer Abgeordnetengruppe aufbaue; zuletzt der § 1 Abs. 2 des Gesetzes Nr. XI/1987 über die Rechtsetzung, demgemäß eine niederrangige Norm einer höherrangigen Norm nicht widersprechen dürfe.

2. Gemäß § 14 der Geschäftsordnung können die zu derselben Partei gehörenden Parlamentsabgeordneten zur Harmonisierung ihrer Tätigkeit eine Abgeordnetengruppe bilden.

§ 15 Abs.1 besagt, daß mindestens 15 Abgeordnete eine Abgeordnetengruppe bilden. Ein Abgeordneter kann nur in einer Abgeordnetengruppe Mitglied sein.

Das Verfassungsgericht stellt fest: Die Verfassungswidrigkeit der Geschäftsordnungsbestimmung über die Mindestzahl für eine Abgeordnetengruppe kann nicht für sich allein untersucht werden, vielmehr ist es erforderlich, die Rechtsberechtigungen einer Abgeordnetengruppe in die Prüfung miteinzubeziehen. Von den dazugehörigen Bestimmungen der Geschäftsordnung hat das Verfassungsgericht die folgenden geprüft:

§ 31 (1) Zu Zahl, Benennung, Aufgabenbereich, Mitgliederzahl und der Wahl des Vorsitzenden, stellvertretenden Vorsitzenden und der Mitglieder - aufgrund der §§ 28, 33 Abs. 1 und 2 - unterbreitet der Hausausschuß dem Parlament entsprechend der Empfehlung der Leiter der Abgeordnetengruppen den Vorschlag. Zu einem Wechsel in der Person des Vorsitzenden, stellvertretenden Vorsitzenden und der Mitglieder unterbreitet der Parlamentspräsident - entsprechend der Empfehlung der Leiter der Abgeordnetengruppen - den Vorschlag.

(2) Der Parlamentspräsident gibt den Vorschlag bekannt. Zum Vorschlag kann nur der Leiter der Abgeordnetengruppe - zu einem Personalvorschlag nur der Leiter der betroffenen Abgeordnetengruppe - einen Änderungsvorschlag machen, über den das Parlament ohne Aussprache beschließt.

§ 32 (1) Das Mandat des Vorsitzenden, stellvertretenden Vorsitzenden und Mitglieds wird beendet:

a) durch Beendigung des Mandats des Ausschusses,

b) durch Beendigung des Abgeordnetenmandats,

c) durch Austritt oder Ausschluß aus der Abgeordnetengruppe, im Falle eines unabhängigen Abgeordneten durch Anschluß an eine Abgeordnetengruppe,

d) durch Rückruf durch die Abgeordnetengruppe,

e) durch Beendigung der Abgeordnetengruppe,

f) durch Mandatsverzicht,

(2) Die Leiter der Abgeordnetengruppen können auch Abweichendes vom Inhalt des Absatzes 1 festlegen. In einem ständigen Ausschuß als Ausschuß müssen die Abgeordnetengruppen mindestens eins zu eins Abgeordnetensitze bekommen.

(3) Das Parlament kann auch beschließen, daß in einem Ausschuß sowohl die Regierungsparteien-Abgeordnetengruppen, als auch die Oppositionsparteien-Abgeordnetengruppen entsprechend gleichermaßen Abgeordnete benennen können (paritätischer Aussschuß).

§ 35 (2) Auf die Berufung und Wahl des Vorsitzenden, der Amtsinhaber und Mitglieder eines nicht-ständigen Ausschusses ist § 31, auf die Mandatsbeendigung  § 32 anzuwenden, wobei Mitglieder eines nicht-ständigen Ausschusses bis zu höchstens die Hälfte auch nicht Parlamentsabgeordnete sein können.

§ 36 (4) Der Kontrollausschuß ist entsprechend den Bestimmungen des § 33 Abs. 3 zu bilden. Der Vorsitzende eines die Regierung oder ein Regierungsorgan, ferner die Tätigkeit eines Ministeriums prüfenden Ausschusses ist ein der Opposition zu der betroffenen Regierung zugehöriger Abgeordnete.

3. Gemäß § 20 Abs. 1 der Verfassung führen die Parlamentsabgeordneten ihre Tätigkeit im Allgemeininteresse aus.

Im Sinne des § 3 Abs. 2 der Verfassung wirken die Parteien bei der Gestaltung und Artikulierung des Volkswillen mit.

Gemäß § 4 Abs. 4 des Wahlgesetzes sind die Rechte und Pflichten der Parlamentsabgeordneten gleich.

 

II.

Gemäß der ständigen Praxis des Verfassungsgerichts kann eine Parlamentsentscheidung über die Geschäftsordnung als sonstiges Rechtsinstrument der staatlichen Leitung Gegenstand der nachträglichen Normenkontrolle auf Antrag von jedermann werden. [39/1996. (IX. 25.) AB, ABH 1996, 134; 29/1997. (IV. 29.) AB, ABH 1997, 122; 50/1997. (X. 11.) AB, ABH 1997, 327]. Auch in bezug auf die Geschäftsordnung kann eine in einer Unterlassung bestehende Verfassungswidrigkeit festgestellt werden, wenn die Geschäftsordnung nicht die Garantien enthält, die eine Ausübung der Rechte, die den Abgeordneten zustehen, gewährleisten. [29/1997. (IV. 29.) AB, ABH 1997, 122]. Der Umstand, daß das Gesetz über das Verfassungsgericht namentlich "die Geschäftsordnung des Parlaments" nur unter den Gegenständen der vorherigen Normenkontrolle erwähnt (§ 1 lit. a ungVerfGG) steht in gar keiner Beziehung damit, daß der Zuständigkeitsbereich des Verfassungsgerichts hinsichtlich der nachträglichen Normenkontrolle vollständig ist; von Verfassungs wegen ist er auf jede Rechtsvorschrift und außerdem aufgrund des Gesetzes über das Verfassungsgericht auf alle normativen Rechtsinstrumente der staatlichen Leitung ausgedehnt. [4/1996. (I. 22.) AB, ABH 1997, 41, 45.]

2. Von Verfassung wegen ist das Mandat der Abgeordneten ein freies Mandat. Dies hat das Verfassungsgericht aufgrund der §§ 20 Abs. 2 und 20/A Abs. 2 der Verfassung in seiner Entscheidung 2/1993. (I. 22.) AB ausdrücklich festgestellt (ABH 1993, 33,38). Damit im Einklang ist die Bestimmung des § 15 Abs. 2 der Geschäftsordnung, nach der der aus einer Abgeordnetengruppe ausgetretene oder ausgeschlossene Abgeordnete als ein unabhängiger Abgeordneter zu betrachten ist.

Das freie Mandat ist die Basis der Abgeordnetenrechtsstellung. Das freie Mandat bedeutet, daß nach der Wahl der Abgeordnete von den Wählern juristisch unabhängig wird; er gestaltet seine Stellungnahmen nach seinem Gewissen und seiner Überzeugung und stimmt auch so ab; wegen seiner Abgeordnetentätigkeit und seines Stimmverhaltens ist er nicht abberufbar. Diese gleichen Freiheiten sind auch in der Beziehung des Abgeordneten zu der Partei, die ihn aufgestellt hat, wirksam. Die Legitimation des Abgeordneten ist nicht an die Wahl und an die Partei gebunden. Eine Partei kann mit juristischen Mitteln einen Abgeordneten nicht zur Vertretung von Parteimeinungen zwingen. Die Abgeordnetenrechtsstellung eines Abgeordneten, der aus einer Partei ausgetreten oder ausgeschlossen ist, bleibt unverletzt. Der gewählte Abgeordnete nimmt teil an der Arbeit einer Parteifraktion als Teil der Ausübung seines freien Mandats.

Die Kennzeichen des freien Mandats sind auch darin zu sehen, daß die Rechtsstellung der Abgeordneten gleich ist, d. h. - wie das Wahlgesetz sagt - deren Rechte und Pflichten gleich sind. Hinsichtlich der für die Erledigung der Abgeordnetenaufgaben erforderlichen Rechte und Organisationsvoraussetzungen, kann unter den Abgeordneten nicht danach unterschieden werden, auf welche Weise sie ihr Mandat bekommen haben - d.h. ob sie über eine Parteiliste oder über einen Einzelwahlkreis in das Parlament gekommen sind -, und je nachdem mehr oder weniger Stimmen hinter dem Mandat stehen; man kann auch nicht danach unterscheiden, ob eine Partei den Abgeordneten aufgestellt oder unterstützt hatte oder er ein unabhängiger Kandidat war; auch danach nicht, ob er sich als gewählter Abgeordneter der Abgeordnetengruppe einer Partei angeschlossen hatte oder nicht.

Die oben genannten Kennzeichen des freien Mandats sind auch für die Rechtsstellung der parlamentarischen Parteien bestimmend, obwohl die sich daraus ergebenden Folgen mit den besonderen Funktionen der Parteien in ein Gleichgewicht gebracht werden müssen. Doch in dem, daß innerhalb dieser Grenzen die im Parlament vertretenen Parteien gleichberechtigt sein müssen und Bedarf dahingehend haben, daß die Parteien die Fülle der für die eigenen Aufgaben erforderlichen Rechte ausüben können, liegt eine Quelle für das freie Mandat der Abgeordneten. Deshalb z. B. falls während einem parlamentarischen Zyklus sich Parteien spalten, sich neue Parteien gründen usw. und Abgeordnete die Vertretung dieser ursprünglich bei den Wahlen noch nicht existierenden neuen Parteien im Parlament übernehmen, folgt die Legitimation dieser Parteien im Parlament nicht direkt aus dem Willen der Wähler, sondern aus der Legitimation der Abgeordneten.

3. Neben dem freien Mandat der Abgeordneten ist die zweite Basis für die Arbeit des Parlaments die innerhalb des Parlaments eingerichtete Tätigkeit der politischen Parteien.

Die Parteien haben nicht nur im allgemeinen eine Mittlerrolle zwischen Staat und Gesellschaft [§ 3 Abs. 2 der Verfassung], sondern die Verfassung verwirklicht ausdrücklich ein "Mehrparteiensystem" und eine "parlamentarische Demokratie" (Präambel der Verfassung), in dem die Parteien im Parlament ausdrücklich gegenwärtig sein müssen, weil die Verfassung für das Funktionieren des demokratischen Institutionenssystems unverzichtbare Aufgaben für die Abgeordnetengruppen der parlamentarischen Parteien und deren Leiter vorschreibt (§ 19/B Abs. 2, § 28 Abs. 5, § 32/A Abs. 4). Die parlamentarische Rolle der Parteien folgt aus der Verfassung; dies ist das alleinige begriffliche Kriterium, die eine "Partei" von anderen gesellschaftlichen Organisationen unterscheidet. (Eine politische Organisation ist eine "Partei" nur dann, wenn sie mit der Aufstellung der Abgeordnetenkandidaten die Ernsthaftigkeit ihres Willens beweist, den "Volkswillen" im Parlament durch ihre Abgeordneten "zu artikulieren".) [53/1996. (XI. 22.) AB, ABH 1996, 165, 169, 171.]

Das Wesen und Funktionieren "der Abgeordnetengruppen der im Parlament vertretenen Parteien" sind in den zitierten Bestimmungen der Verfassung vorausgesetzt; deren Schaffung ist eine Verfassungspflicht. Doch weder die Verfassung noch das Wahlgesetz, das Gesetz Nr. 55/1990 über die Rechtsstellung der Parlamentsabgeordneten und das Gesetz Nr. 56/1990 über die Abgeordnetendiäten, Aufwandsentschädigungen und Vergünstigungen enthalten eine Begriffsbestimmung der Abgeordnetengruppe. Daher kann das Parlament in der die eigene Tätigkeit regelnden Geschäftsordnung selbst  die Begriffsbestimmungen und Rechte einer Abgeordnetengruppe festlegen.

Aus dem Wortgebrauch der Verfassung folgt nicht, daß die "im Parlament vertretene Partei" von vornherein als eine Abgeordnetengruppe im Parlament gegenwärtig ist. Auch die Partei ist im Parlament vertreten, für die sogar ein einzelner in einem Einzelwahlkreis aufgestellter Abgeordnetenkandidat gewählt ist oder für die die Vertretung ein zuvor von der betreffenden Partei unabhängig in das Parlament gekommener Abgeordneter annimmt - genauso bleibt auch eine Partei weiterhin vertreten, deren Fraktion - zum Beispiel durch Todesfall - unter die vorgeschriebene Kopfzahl sinkt und sich auflöst.  Weder die Verfassung noch ein anderes Gesetz schließen es aus, daß das Parlament zur Gründung einer Abgeordnetengruppe weitere Voraussetzungen aufstellt. Bei der Schaffung des Begriffs und der Rechtsberechtigungen der Abgeordnetengruppe besteht für das Parlament eine zweifache Verfassungsbindung, die sich aus den zwei Verfassungssäulen der parlamentarischen Demokratie ergeben: einerseits aus dem freien Mandat und der Gleichberechtigung der Abgeordneten, andererseits aus den eigenen Aufgaben der Parteien.

4. Bei der Bestimmung des Begriffs und der Rechte der Abgeordnetengruppe sind daher vom Parlament die Rechte und die Verantwortung in Betracht zu ziehen, mit denen die Verfassung die von den Abgeordnetengruppen delegierten Ausschußmitglieder und Fraktionsvorsitzenden ausstattet. In diesem Zusammenhang, jedoch in einem weitergehenden Sinne muß die Bestimmung der Institution der Abgeordnetengruppe der Wirksamkeit der parlamentarischen Arbeit und der Stabilität der Tätigkeit des Parlaments dienen, insbesondere im Anbetracht der Aufgaben, die in der modernen repräsentativen Demokratie den Parteien zufallen. Die Abgeordnetengruppen sind Mittel der politischen Meinungsbildung und der einheitlichen Meinungsvertretung, sie können durch ihre Arbeit die Verfassungsaufgaben an die Parteien und die Vermittlung des Volkswillens wirksam versehen. Die Fraktionen sind unentbehrlich in der Strukturierung der Parlamentsdebatte, sie ermöglichen, daß statt hunderter Einzelmeinungen  einhellige Standpunkte sichtbar werden und aufeinander treffen. Der so erreichbaren Wirksamkeit dienen die Rechtsberechtigungen, die nicht einzelnen Abgeordneten, sondern ausgesprochen nur den Fraktionen (deren Abgeordneten) zustehen.

Obwohl die in der Verfassung gegebene Ermächtigung zur Schaffung einer Geschäftsordnung nur die Feststellung der Arbeitsregeln und der Debattenordnung des Parlaments erwähnt (§ 24 Abs. 4), bedeutet eine wirksame parlamentarische Arbeit mehr als eine im technischen Sinne genommene Arbeitsordnung, sondern ein Verfassungsprinzip. Diese Wirksamkeit in bezug auf die politischen Parteien hat das Verfassungsgericht von Anfang an verstanden als eine Fähigkeit der Parteien, um die Aufgaben, die im § 3 Abs. 2 der Verfassung bestimmt sind, zu erfüllen, und hat diese in den Zusammenhang gebracht mit einer entsprechenden Unterstützung der Partei. Unter Zugrundelegung dieser Kriterien verfährt das Verfassungsgericht bezüglich des Begriffs der Partei (Fähigkeit zur Kandidatenaufstellung, 53/1996. (XI. 22.) AB, ABH 1996, 165), des Eintritts einer Partei in das Parlament (das Erreichen einer bestimmten prozentualen Unterstützung als Partei 3/1991. (II. 7.) AB, ABH 1991, 15), der staatlichen Unterstützung der parlamentarischen Parteien (die hervorgehobene Unterstützung der Parteien, die auf der Landesliste Mandate gewonnen haben, 21977/B/1991. AB, ABH 1994, 520) und der Voraussetzungen für die Gründung einer Abgeordnetengruppe in dieser Entscheidung. Im Sinne dieser Entscheidungen kann die durch die Wähler bestimmte Unterstützung verfassungsrechtlich eine Begriffsbestimmung der parlamentarischen Partei sein, im weiteren können die Gesetze verfassungsrechtlich eine zu einem bestimmten Regelungsobjekt gehörende bestimmte Unterstützungsschwelle bestimmen, die die Geeignetheit für eine der Partei gegebene bestimmte Aufgabe beweist. Das Verfassungsgericht hat das Wirksamkeitskriterium also als verfassungsmäßig anerkannt und hat es einheitlich von dem Begriff der Partei ausgehend bei der Prüfung des Wahlsystems bis zur in der Verfassung bestimmten vollständigeren Form der parlamentarischen Tätigkeit der Partei und bis zur Ausübung der Rechte der Abgeordnetengruppe angewandt.

Im gültigen Wahlsystem ist die Unterstützung einer Partei als Partei in erster Linie durch die den eine verhältnismäßige Zusammensetzung des Systems repräsentierenden Parteilisten gegebenen Stimmen meßbar. Dies ist auch dann der Fall, wenn auf der Landesliste auch die Bruchstimmen der Einzelmandate mitgezählt werden, weil auch diese Bruchstimmen nur durch die Parteien verwendet werden können, die auf den Gebietslisten die Schwelle von 5 % erreicht haben. Nach dem Wahlgesetz können mehr als die Hälfte der parlamentarischen Mandate über die Parteilisten gewonnen werden (210 gegenüber 176 Einzelmandaten). Hinter den Mandaten, die aufgrund einer Liste erreicht wurden, stehen meistens mehr Stimmen als hinter den Einzelmandaten. Das Gültigkeitserfordernis ist hier durch die Schwelle von 5 % in zwei Hinsichten wirksam: die Parteien, die dies nicht erreichen, verlieren nicht nur die als Partei gewonnenen Stimmen, sondern verlieren auch die Bruchstimmen der einzelnen Kandidaten; das System belohnt dagegen die Hineingelangten.

Unter den freien Mandaten der einzelnen Abgeordneten ist kein und darf auch kein Unterschied gemacht werden, so auch aufgrunddessen nicht, ob der Abgeordnete sein Mandat aufgrund der Liste oder als Einzelmandat gewonnen hat. In der parlamentarischen Rechtsstellung der Parteien, insoweit sie als Parteien auftreten und Rechte ausüben, ist in Betracht zu ziehen, daß die betreffende Partei als Partei eine Vertretung gewonnen hat, also Abgeordnete in das Parlament hineinbekommen hat und nicht umgekehrt, wenn - obwohl nach den Regeln durch die Partei aufgestellt, doch - einzelne Abgeordnete die Vertretung für die Partei gewonnen haben. Das Listenmandat bleibt bei der Partei auch dann, wenn ein Abgeordneter stirbt oder von seinem Mandat befreit wird. Dagegen geht das durch einen einer Partei zugehörigen Abgeordneten in einem Einzelwahlkreis gewonnene Mandat in diesen Fällen für die Partei verloren: in einem Wahlkreis müssen nämlich neue Zwischenwahlen abgehalten werden. Auf diesem Unterschied und auf der aus dem Wahlsystem abgeleiteten größeren Unterstützung basieren die Entscheidungen des Verfassungsgerichts, die einzelne nur mit Parteilistenmandaten verbundenen Rechte für verfassungsmäßig erklärt (2197/B/1991. AB, ABH 1994, 521 und die gegenwärtige Entscheidung). Wie die Mandate der Einzel-Abgeordneten vollständig und gleich sind, so muß auch in Anbetracht der eigenen Aufgaben der über die Liste in das Parlament gelangten Parteien (den diese vertretenden Organisationseinheiten) eine gleiche und vollständige Rechtsstellung gewährleistet werden.

Die mit dem Wahlsystem und dem Hineingelangen der Parteien in das Parlament verbundenen  Eigenheiten sind dann am sichtbarsten, wenn sich das Parlament gründet. In diesem Fall wird die an die Wahlen bindende Nabelschnur durch ein eigener Zuständigkeitsnachweis der Mandate und durch die Eidesverpflichtung zerschnitten und ab dieser Zeit kann die ab dann zur Geltung kommende freie Mandatsausübung diese sich scharf abzeichnende Ausgangsstruktur  verwaschen. Doch muß bei der Gründung dem Wählerwillen gemäß die Rechtsstellung der Parteien gewährleistet sein. Die Geschäftsordnung muß auch die den Parteien gebührenden eigenen Aufgaben und Rechte so bestimmen, daß die ausgesprochen in dieser Qualität in das Parlament gelangten Parteien als gleich und vollberechtigt behandelt werden. Zu jeglicher Differenzierung ist daher ein verfassungsrechtlich befriedigender Grund erforderlich.

Die Effektivität kann - abgesehen von dem bei einer Zersplitterung des Parlaments drohenden Extremfalls, der angesichts der nach dem Systemwechsel in Ungarn entstandenen Parteistruktur keine reale Gefahr ist - für sich allein kein genügender Grund für eine Differenzierung unter den über die Liste hineingelangten Parteien sein, weil die aus dem Grundprinzip des freien Mandats und der Rechtsgleichheit der Abgeordneten für die Rechtsstellung der Parteien folgenden Erfordernisse so stark sind, daß sie im Effektivitätsinteresse eine über die bereits mit dem als Partei Hineingelangen wirksame Differenzierung und Auswahl hinaus weitere Differenzierung nicht erlauben. Während in den anderen Fällen, in denen das Verfassungsgericht die Gesetzgebungseffektivität und das Unterstütztsein der Parteien in Betracht gezogen hat, der Verfassungsmaßstab nur hierzu ist, kann er auf die eigenen inneren Gesichtspunkte der vorliegenden Sache eingestellt werden und daher ist in der Sache auch eine andere Verfassungspflicht wirksam werden zu lassen, die folglich gemäß der Effektivität die Differenzierung zwischen den Parteien - logisch aufgrund des Zusammenhangs, ja der Berührung zwischen den Wahlen und der Bildung des Parlaments - außerhalb des Parlaments oder wenigstens an die Startlinie der Tätigkeit setzt. Diese Eigenheit - der Einigungszwang - bestimmt die Entscheidung aller mit den Fraktionen in Zusammenhang stehenden Fragen.

Die Abgeordnetengruppen der Parteien genießen die Fülle der Rechte, die den über eine parlamentarische Vertretung verfügenden Parteien zustehen. Bei der Bildung des Parlaments kann den Parteien, deren Pateiliste, die mehr als 5 % der auf allen Gebietsparteilisten abgegebenen und landesweit zusammengebrachten gültigen Stimmen erhalten haben, das Recht auf Gründung einer Abgeordnetengruppe von Verfassungs wegen nicht verneint werden. Wenn nämlich die aus der Verfassung abgeleitete Begriffsbestimmung der Partei die Artikulierung des Volkswillen ist und diese Aufgabe - ebenfalls aus der Verfassung folgend - auch im Parlament erfüllt werden muß, ferner, wenn zu dieser Aufgabe die im Wahlgesetz erforderte und für die Partei ausgesprochene Wahlbürgerunterstützung die Partei ermächtigt, dann können die Parteien, die über eine solche Unterstützung verfügen, nicht von den zur Ausübung der Aufgaben erforderlichen Rechten und organisatorischen Voraussetzungen beraubt werden, auch dann nicht, wenn ansonsten das Parlament - aufgrund von Effektivitätsgesichtspunkten - zur Gründung einer Abgeordnetengruppe eine höhere Anzahl bestimmen würde.

5. Die andere Verfassungsbedingung der Fraktionsbildung ist, daß die den Aufgaben der Parteien und der Arbeitsfähigkeit des Parlaments dienenden Ansprüche - die daher den  Fraktionen eine eigene Rechtsstellung gewährleisten - mit dem freien Mandat und der aus diesem abgeleiteten Rechtsgleichheit der Abgeordneten in Einklang gebracht werden müssen.

Bezüglich der Schaffung der Abgeordnetengruppen hat das freie Mandat prinzipielle Bedeutung. Obwohl aus der Verfassung folgt, daß im Parlament Abgeordnetengruppen der Parteien tätig sein müssen, ist diese Gründung in Wirklichkeit die Ausübung des freien Mandats. Die Fraktionsmitgliedschaft kann daher für den einzelnen Abgeordneten rechtlich nicht verbindlich sein. Dem entsprechen die §§ 14 und 15 der Geschäftsordnung: Die Abgeordneten können Abgeordnetengruppen bilden. Wenn die eine Quelle der Fraktionsbildung das freie Mandat ist, dann muß sich auch in der Rechtsstellung der Abgeordnetengruppen die Gleichheit und Vollständigkeit der Rechtsstellung der Abgeordneten spiegeln, andererseits dürfen die Rechte der Fraktionen diese Gleichheit im Wesentlichen nicht verletzen.

Über die grundsätzliche Einigung wurde schon früher im Zusammenhang mit dem Recht auf Fraktionsgründung der auf der Liste in das Parlament gelangten Parteien gesprochen. Die Einigung muß auch in weiteren Hinsichten geschehen sein: so zwischen den jedem Abgeordneten gleichermaßen zustehden Rechten und den Berechtigungen der Fraktionen; ferner hinsichtlich der Bedingungen der Fraktionsgründung unter besonderer Berücksichtigung des Rechts auf Fraktionsgründung der Einzelabgeordneten einer nicht auf der Parteiliste hineingelangten Partei, fernerhin das Aufkommen der vom Wählerwillen unabhängigen Parteien. Letztlich muß die Fraktionsgründung auch mit dem freien Gruppengründungsrecht der Abgeordneten in Einklang gebracht werden.

6. Das freie Mandat und die Rechtsgleichheit der Abgeordneten muß nicht bei der Bestimmung der Fraktionskopfzahl, sondern eher bei der Schaffung der Berechtigungen der Abgeordnetengruppen beachtet werden. Dann kann nämlich das Verfassungserfordernis wirksam werden, daß die Zusammenarbeit der einzelnen Abgeordneten - jedes einzelnen Abgeordneten - bei den Entscheidungen, die zum Zuständigkeitsbereich des Parlaments gehören, und der dahin führenden Willensbildung zu gewährleisten ist. Die begründeten Berechtigungen der Fraktionen müssen deswegen mit den dem einzelnen Abgeordneten zustehenden und zur Aufgabenerledigung unentbehrlichen Rechten und organisatorischen Voraussetzungen ins Gleichgewicht gebracht werden. Es ist selbstverständlich, daß ein Mitglied der Abgeordnetengruppe, solange es Mitglied ist, seine Rechte innerhalb dieses Rahmens ausübt. Nicht verfassungsmäßig ist dagegen eine Regelung, die nur die zur Fraktionstätigkeit gehörenden Interessen wahrnimmt und die fraktionslosen Abgeordneten praktisch von den zur Aufgabenerfüllung erforderlichen Berechtigungen ausschließt.

Es kann nur angesichts des Geschäftsordnungsganzen (und sogar der damit verbundenen materiellen Ausstattung und Organisationsbedingungen) entschieden werden, wann einerseits die aus dem freien Mandat und der Gleichheit der Abgeordneten folgenden Anforderungen, andererseits die verfassungsgemäß auch durch die Fraktionstätigkeit gewährleistete effektiv und klar gegliederte parlamentarische Arbeitsorganisation ins Gleichgewicht gebracht sind mit dem Ergebnis, wann die Geschäftordnung die Rechtsstellung der einzelnen Abgeordneten und Fraktionen verfassungsmäßig herausgebildet hat und mit welchen Rechten sie dazu ausgestattet sein müssen. Doch dies ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens. Das Verfassungsgericht wird deswegen nur die wichtigsten die fraktionslosen Abgeordneten betreffenden Berechtigungen nennen, ohne deren Bestimmung bestimmt nicht von dem durch die Verfassung erforderten Gleichgewicht gesprochen werden könnte.

Aus der Rechtsgleichheit der Abgeordneten folgend muß jedem Parlamentsabgeordneten die Möglichkeit der Meinungsäußerung in der Plenarsitzung gewährleistet sein; sowie auch die vollberechtigte Teilnahme an der Arbeit der Parlamentsausschüsse und letztlich die Möglichkeit einer Gruppenbildung.

a) Die erste Bedingung versteht sich von selbst; zeitliche, reihenfolgliche oder häufigkeitliche Grenzen sind aus der Natur der Arbeit in Sitzungen abgeleitet möglich und solange verfassungsmäßig, solange sie das Gleichheitsprinzip nicht verletzen.

b) In Zusammenhang mit den parlamentarischen Ausschüssen weist das Verfassungsgericht nachdrücklich darauf hin, daß immer größere wesentliche Teile der parlamentarischen Arbeit in den Ausschüssen stattfinden, hier werden die fachlichen und politischen Gesichtspunkte, unter denen das Plenum entscheidet, formuliert. In den Ausschüssen bekommt der Abgeordnete den größten Teil der Informationen, die er zu seiner Arbeit braucht. Das Parlament erfüllt seine Kontroll-  und Aufklärungsaufgaben durch die Ausschüsse. Was in den Ausschüssen passiert, kann so von der wesentlichen Aufgabenerfüllung des Parlaments nicht getrennt werden, also kann die Vertretung im Parlament nicht auf die aktive Teilnahme an den Plenarsitzungen begrenzt werden. Also beinhaltet das Mandat des Abgeordneten auch die Teilnahme und Mitarbeit in den Ausschüssen, d. h. die politische Willensbildung, die dort stattfindet. Daraus folgernd muß die Zusammenstellung der Ausschüsse die Zusammenstellung des Parlaments entsprechend widerspiegeln. (Die Geschäftsordnung - obwohl nur in bezug der Parteien, die eine Fraktionskopfzahl erreicht haben und deswegen verzerrt - folgt auch gegenwärig diesem Prinzip). Und wenn das Mandat auch die Arbeit in den Ausschüssen beinhaltet, können die Rechte und Verpflichtungen der Abgeordneten, die an den Ausschüssen teilnehmen nur gleich sein - unabhängig davon, ob sie als Fraktionsmitglied oder als unabhängige Abgeordnete zum Ausschußmitglied geworden sind. Daher muß jedem Abgeordneten die Teilnahmemöglichkeit an der Arbeit mindestens eines Parlamentsausschusses möglich gemacht werden.

Mit dem Prinzip, daß - falls ein Gesetz keine Ausnahme macht - alle Abgeordneten für die Ämter des Parlaments oder in den Ausschüssen gewählt werden können (§ 13 Abs. 2 der Geschäftsordnung) müssen die Einzelregelungen bezüglich der Besetzung der Plätze in den Ausschüssen (§§ 31, 32, 33 ferner § 35 Abs. 2 und § 36 Abs. 4 der Geschäftsordnung) nicht nur im Einklang sein, sondern müssen die Teilnahme ausgesprochen garantieren. Die Geschäftsordnung regelt es so, daß auch zur Wahl der Ausschußmitglieder entsprechend den Empfehlungen der Leiter der Abgeordnetengruppen der Hausausschuß dem Parlament den Vorschlag unterbreiten kann; in der Arbeit der ständigen Ausschüsse können als Ausschußmitglieder aus jeder Abgeordnetengruppe so viele Abgeordneten teilnehmen, wie es dem Kopfzahlverhältnis unter den Abgeordnetengruppen entspricht. Wenn die Leiter der Abgeordnetengruppen sich auf ein anderes Verhältnis einigen, muß jede Abgeordnetengruppe mindestens mit einem Abgeordneten in dem Ausschuß anwesend sein. Damit, daß auch ein unabhängiger Abgeordneter zum Ausschußmitglied werden kann, rechnet nur die Regelung über die Beendigung einer Ausschußmitgliedschaft: wenn ein unabhängiger Abgeordnete sich einer Abgeordnetengruppe anschließt, dann verfällt seine Ausschußmitgliedschaft. Gegenwärtig entscheidet über die Ausschußmitgliedschaft der fraktionslosen Mitglieder die Empfehlung der Abgeordnetengruppen; ihre Ausschußteilnahme wird grundsätzlich nicht garantiert. Deswegen hat das Verfassungsgericht das verfassungswidrige Unterlassen des Parlaments festgestellt und hat dieses verpflichtet, die Garantieregelungen bis zum 1. September 1998 zu schaffen.

Die verhältnismäßige Aufteilung der Plätze - unter anderem auch abhängig von den Ausschußplätzen und von der Zahl der fraktionslosen Abgeordneten - ist die Aufgabe des jeweiligen Parlaments. Doch auch neben der Erfüllung des oben genannten Grundprinzips kann danach unterschieden werden, ob die Besetzung der Ausschußplätze paritätisch oder verhältnismäßig ist. Im ersteren Fall muß man offensichtlich eine spezifische Teilnahmelösung finden. Mit diesem Problem ist verwandt, daß die Teilnahmerechte nicht gleich geregelt werden können in den Ausschüssen, in denen - wie zum Beipiel nach der Geschäftsordnung in den ständigen Ausschüssen - alle Abgeordneten einzeln abstimmen und in denen die Fraktionen jeweils nur eine Stimme haben. In den letzteren ist die Teilnahme der fraktionslosen Abgeordneten kein Verfassungserfordernis - und ist in den in der Verfassung genannten Fällen ausdrücklich ausgeschlossen.

c) Die Gruppengründung ist auch ein Recht der Abgeordneten, das aus der Verfassung abgeleitet werden kann - denn die Fraktionsgründung folgt auch aus der Ausübung des freien Mandats. Dieses Recht wird auch durch die Geschäftsordnung anerkannt (§§ 14, 18). (Mit den Eigenheiten der Verpflichtung bezüglich der Gründung einer Abgeordnetengruppe muß sich das Verfassungsgericht jetzt nicht beschäftigen - in dem verhandelten Fall genügt die Feststellung der Berechtigung.) Wie das Verfassungsgericht oben ausgeführt hat, ist das Parlament zur Institutionalisierung der Abgeordnetengruppe verpflichtet. Über das Verhältnis dieser und der Gruppen, die den Voraussetzungen zur Gründung einer Abgeordnetengruppe nicht entsprechen, wird in dem folgenden Punkt 8 durch das Verfassungsgericht Stellung genommen.

7. Nach den oben Gesagten sind bei Gründung des Parlaments alle Parteien zur Gründung einer Abgeordnetengruppe berechtigt, die als Partei, d.h. (auch) über die Liste in das Parlament gelangt sind. Das Prinzip der Effektivität kommt zu dieser Zeit noch durch die 5 % Schwelle des Wahlgesetzes zur Geltung.

Aus der Rechtsgleichheit und dem Gruppenbildungsrecht der Abgeordneten, andererseits aus der Gleichheit der Parteien folgt auch, daß der Gruppenbildung von Abgeordneten, die die Voraussetzung, zu einer Partei zu gehören (im weiteren Sinne) erfüllt, aber deren Mitglieder in Einzelwahlkreisen die Mandate bekommen haben, auch das Recht auf Fraktionsbildung zusteht, vorausgesetzt, daß sie die durch das Parlament bestimmten Kopfzahl erreicht. Dasselbe betrifft auch das Auftreten von neuen Parteien oder deren Vertretungsübernahme im Parlament. Im Vergleich zu einer orginal auch in dieser Qualität in das Parlament gelangenden Partei drückt die nur von Einzelabgeordneten gegründete Fraktion nicht grundsätzlich, unbedingt und primär die ausgesprochene Unterstützung der Wähler für die Partei aus; in dem zweiten Fall kann man das nicht prüfen. Wegen dieses Unterschieds kann die Gleichheit der Parteien nicht mechanisch zur Geltung kommen: deswegen muß das Parlament hinsichtlich der Fraktionsbildung von Parteien, die nicht über die Liste schon zu Anfang als eine Partei in das Parlament gelangt sind, bei der Bestimmung der minimalen Fraktionskopfzahl nicht die Wirksamkeitsschwelle des Wahlgesetzes in Betracht ziehen, sondern es genügt, wenn es nur die Wirksamkeit der parlamentarischen Tätigkeit in Betracht zieht. Es gibt also keine Verfassungsbedingungen, daß die Geschäftsordnung die zur Abgeordnetengruppenbildung nötige Kopfzahl bei jedem Zyklus auf die in der Gründungssitzung erschienenen Kopfzahl der Abgeordneten der gesonderten, kleinsten und auf der Liste in das Parlament gelangten Partei festsetzt. Denn das in dieser Entscheidung festgesetzte Prinzip hat auch nur dann praktische Bedeutung - und diese Lage war auch ein Grund dieses Antrags - wenn die Anzahl einer Partei, die die 5 % Schwelle des Wahlgesetzes überschritten hat, die Fraktionsgründungsanzahl, die ansonsten höher festgesetzt ist, nicht erreicht. Das in dem Tenor der Entscheidung bestimmte Erfordernis ist auf die Gleichheit der Parteien, die die Wähler in das Parlament als Partei gewählt hatten, gestützt. Im Gegensatz zu allen Schwellen für Abgeordnetengruppengründungen, die durch allgemeine Kriterien bestimmt sind und die alle Parteien, die im Parlament anwesend sind, betreffen, und aus der Sicht der Gleichheit von allen Parteien, ist die Vollstreckung dieser Gleichheit eine verfassungsrechtlich begründete positive Diskriminierung.

8. Das Recht auf Gruppenbildung steht den Abgeordneten abgeleitet aus dem freien Mandat zu und erstreckt sich daraus folgend nicht nur auf fachliche oder gebietsbezogene Gruppenbildungen, die in § 18 Abs. 1 der Geschäftsordnung beispielhaft aufgezählt sind, sondern in einem weiteren Sinne auf eine aufgrund der Parteizugehörigkeit geschehende Organisierung, die auch dem Begriffsmaßstab Fraktionsgründung entspricht. Die Frage ist, welche Rechte den nicht durch Effektivität, nicht durch eine Wählerunterstützung ausdrücklich für eine Partei legitimierten, - d. h. keine der Schwellenwerte für eine Fraktionsgründung erreichenden -, aber ansonsten auf einer Parteibasis organisierten Abgeordneten gegeben werden sollen.

Abgeleitet aus dem Prinzip effektiver Arbeit kann das Parlament den Unterschied nicht unberücksichtigt lassen, der bezüglich der Rechtsgewährleistungen und der Tätigkeitsbedingungen zwischen den unabhängigen (sie haben verschiedene politische Meinungen und arbeiten nicht zusammen) Abgeordneten besteht, die eine größere Anzahl haben,  und zwischen den Parlamentsabgeordneten, die eine ähnliche Anzahl haben, doch zu einer Partei gehören, eine gemeinsame Meinung haben und diese vertreten wollen. Natürlich kann und darf auch nicht die Rechtsstellung einer Fraktion einer solchen Gruppe geben werden, die die juristischen Bedingungen nicht erfüllt. Doch kann hier das unzweifelhafte Recht auf Gruppenbildung der Abgeordneten nicht mit der "äußeren" durch das Wahlgesetz bestimmten Wirksamkeitsschwelle in Übereinstimmung gebracht werden, die das Verfassungsgericht bei der Fraktionsgründung als Basis nehmen konnte. Deswegen kann in diesem Fall das Parlament die Mindestkopfzahl nur unter Berücksichtigung der eigenen Arbeitseffektivität bestimmen, die es auch den Abgeordnetengruppen, die auf Parteibasis gegründet sind, - offensichtlich verfassungsmäßig - vorschreibt. In diesem Fall muß das Parlament - auch unter Beachtung der Parteingleichheit - die Rechte bestimmen, die der Gruppe, nach dem Muster der Rechte der Abgeordnetengruppen der Parteien, aber nur im zur Aufgabenerfüllung der Gruppe unbedingt erforderlichen Maße zustehen.

Die Seinsberechtigung der genannten Quasi-Fraktionen müßte dann gewichtet werden, wenn die Gründung von Abgeordnetengruppen mit einer unverhältnismäßig hohen Schwelle verbunden sein würde oder wenn die Geschäftsordnung die Minimalkopfzahl einer Fraktion ausschließlich nach dem Effektivitätsprinzip bestimmen würde und so die Tatsache des als Partei Hineingelangens in das Parlament neutral wäre. Dann käme die Frage, ob die Abgeordneten unbedingt einen Verfassungsanspruch auf die Institution der Abgeordnetengruppe oder auf die inhaltlichen Rechte, die zu einem gemeinsamen politischen Auftreten und zur Aufgabenerfüllung unvermeidlich sind, haben.

Die erste Möglichkeit - die zu hohe Schwelle - besteht aber gegenwärtig nicht, sogar ist es  unwahrscheinlich, daß neben der ungarischen Parteistruktur die Geschäftsordnung eine solche einführen würde. Doch solange die neue Regelung nicht geboren ist, ist die Fragestellung auch verfrüht. Die zweite Möglichkeit, die das Prinzip der geltenden Lösung der Geschäftsordnung war, zeigt sich gerade gemäß dieser Entscheidung als verfassungswidrig. Aufgrund all dessen stellt das Verfassungsgericht fest, daß gegenwärtig keine Verfassungspflicht für das Parlaments besteht, Abgeordnetengruppen, die gegenwärtig auf parteipolitischer Basis organisiert sind, fraktionsähnliche Rechte zu geben.

9. Das Verfassungsgericht hat § 15 Abs. 1 Satz 1 der Geschäftsordnung, nachdem eine Abgeordnetengruppe durch mindestens 15 Abgeordnete gegründet sein kann, mit rückwirkender Kraft auf den Tag der Bekanntgabe des offiziellen Wahlergebnisses aufgehoben.

Nach dem geltenden Text der Geschäftsordnung gilt also: "Die zur selben Partei gehörenden Parlamentsabgeordneten können zur Harmonisierung ihrer parlamentarischen Tätigkeit Abgeordnetengruppen gründen" (§ 14 Abs. 1) Nach dem gebliebenen Text des § 15 Abs. 1: "Ein Abgeordneter kann nur Mitglied einer Abgeordnetengruppe sein".

Wegen der Aufhebung mit rückwirkender Kraft können alle Abgeordnetengruppen der Parteien, die bei der Gründungssitzung des Parlaments eine Vertretung haben, gegründet werden, ohne daß die Geschäftsordnung vorher modifiziert werden müßte. Darauf hatten vor der Entscheidung des Verfassungsgerichts nach der gültigen Geschäftsordnung alle Parteien, die im Parlament vertreten sind, das Recht außer dem Antragsteller; demgemäß geschah auch die Vorbereitung der Gründungsitzung, im weiteren wurde der Fall, der vor dem Verfassungsgericht anhängig war, miteinbezogen. Mit der Aufhebung mit rückwirkender Kraft des § 15 Abs. 1 wollte das Verfassungsgericht den Arbeitsbeginn des neuen Parlaments unterstützen.

Das Verfassungsgericht hat auch darauf hingewiesen, daß der geprüfte § 15 der Geschäftsordnung nicht selbst wegen der vorgeschriebenen Anzahl von 15 Personen für eine Fraktionsgründung verfassungswidrig ist, sondern weil die Geschäftsordnung die eigentümliche Rechtsstellung und Gleichheit der Parteien, die durch den Wähler ausdrücklich unterstützt waren und nach dem Wahlgesetz zum Erhalt von Listenmandaten berechtigt wurden, nicht in Betracht genommen hat. Nach dem oben - und insbesondere in Punkt 7 - Gesagten kann das Parlament in der Geschäftsordnung die nötige Anzahl für die Gründung einer Abgeordnetengruppe auf mehrere Weise regeln: auch so, daß die Mandate der kleinsten auf der Liste in das Parlament gelangten Partei als Basis genommen die Schwelle einheitlich bestimmt wird oder auch so, daß von den Parlamentstätigkeitskriterien ausgehend eine allgemeine Regelung als Zahl oder mit einer Prozentzahl der Kopfzahl aller Abgeordneten eine Anzahl vorschreibt und das Recht auf Fraktionsgründung der Partei, die auf der Liste Mandate bekommen hat, doch diese Anzahl nicht erreicht hat, durch eine andere Regelung gewährleistet. Die Entscheidung des Verfassungsgerichts beinhaltet keine Fristsetzung für die Ergänzung der Geschäftsordnung. Solange aber das Parlament die für die Fraktionsgründung nötige Anzahl nicht bestimmt hat, dient diese Entscheidung des Verfassungsgerichts unmittelbar als Basis für das Recht auf Fraktionsgründung für die Parteien, die über die Liste Mandate bekommen haben, und demnach ist die Anzahl, die bei der Gründungssitzung des Parlaments festgestellt werden kann, - mangels anderer Vorschriften und aufgrund der Parteiengleichheit - auch für die Fraktionsgründung durch Abgeordneten, die zur selben Partei gehören, grundsätzlich auch maßgeblich.

An der Entscheidung wirkten mit die Verfassungsrichter: Dr. László Sólyom (Präsident des Verfassungsgerichts; Berichterstatter), Dr. Antal Ádám, Dr. István Bagi, Dr. Árpád Erdei, Dr. András Holló, Dr. Géza Kilényi, Dr. László Kiss, Dr. Tamás Lábady, Dr. János Németh, Dr. Ödön Tersztyánszky.